Sonntag, 20. September 2015

Predigt am 20. September 2015 (16. Sonntag nach Trinitatis)

Es lag aber einer krank, Lazarus aus Bethanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Martha [...] Deren Bruder Lazarus war krank.
Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: „Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank.“ Als Jesus das hörte, sprach er: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, damit der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.“ Jesus aber hatte Martha lieb und ihre Schwester und Lazarus.
Als er nun hörte, dass er krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war; danach spricht er zu seinen Jüngern: „Lasst uns wieder nach Judäa ziehen!“ [...] Danach spricht er zu ihnen: „Lazarus, unser Freund, schläft, aber ich gehe hin, ihn aufzuwecken.“ Da sprachen seine Jünger: „Herr, wenn er schläft, wird’s besser mit ihm.“ Jesus aber sprach von seinem Tod; sie meinten aber, er rede vom leiblichen Schlaf. Da sagte es ihnen Jesus frei heraus: „Lazarus ist gestorben; und ich bin froh um euretwillen, dass ich nicht dagewesen bin, damit ihr glaubt. Aber lasst uns nun zu ihm gehen!“ Da sprach Thomas, der Zwilling genannt wird, zu den Jüngern: „Lasst uns mit ihm gehen, dass wir mit ihm sterben!“
Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen. Bethanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt. Und viele Juden waren zu Martha und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders. Als Martha nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen. Da sprach Martha zu Jesus: „Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.“ Jesus spricht zu ihr: „Dein Bruder wird auferstehen.“ Marta spricht zu ihm: „Ich weiß, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.“ Jesus spricht zu ihr: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?“ Sie spricht zu ihm: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“
Und als sie das gesagt hatte, ging sie hin und rief ihre Schwester Maria heimlich und sprach zu ihr: „Der Meister ist da und ruft dich.“ Als Maria das hörte, stand sie eilend auf und kam zu ihm.
Als nun Maria dahin kam, wo Jesus war, und sah ihn, fiel sie ihm zu Füßen und sprach zu ihm: „Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“ Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, ergrimmte er im Geist und wurde sehr betrübt und sprach: „Wo habt ihr ihn hingelegt?“ Sie antworteten ihm: „Herr, komm und sieh es!“ Und Jesus traten die Tränen in die Augen. Da sprachen die Juden: „Siehe, wie hat er ihn lieb gehabt!“ Einige aber unter ihnen sprachen: „Er hat dem Blinden die Augen aufgetan; konnte er nicht auch machen, dass dieser nicht sterben musste?“
Da ergrimmte Jesus abermals und kam zum Grab. Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag davor. Jesus sprach: „Hebt den Stein weg!“ Spricht zu ihm Marta, die Schwester des Verstorbenen: „Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen.“ Jesus spricht zu ihr: „Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: „Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich weiß, dass du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht, sage ich’s, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.“ Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: „Lazarus, komm heraus!“ Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihm: „Löst die Binden und lasst ihn gehen!“
Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.
aus Johannes 11

Krankheit: Zwischen Leben und Tod.
Es lag aber einer krank.
Immer liegt einer krank.
Mal für ein paar Tage mit der Grippe im Bett.
Mal mit gebrochenen Knochen im Krankenhaus.
Mal mit Herzinfarkt auf der Intensivstation.
Mal mit Metastasen auf dem Sterbebett.
Viele liegen krank.
Jeden kann es treffen.
Krankheit gehört zum Leben.
Und doch ist jede Krankheit ein Angriff auf das Leben.
Viren, Keime, Krebszellen – sie leben, indem sie unser Leben zerstören; manchmal sogar sich selbst dabei mitzerstören.
Verletzungen und Funktionsstörungen führen uns vor Augen, dass unser Körper schwach, weich und verletzlich ist.
Unsere Hardware ist nicht wirklich hart im Nehmen.
Und ihre Funktionszeit ist begrenzt.
Jede Krankheit ist ein Angriff auf das Leben.
Wir schweben zwischen Leben und Tod.
Und auch wenn die Krankheit meistens nicht siegt, irgendwann wird sie es schaffen; vor lauter Gesundheit ist noch keiner gestorben.
Diese Krankheit ist nicht zum Tode.
– Das ist eine gute Nachricht für jeden, der zwischen Leben und Tod schwebt.
Es ist die Nachricht von Jesus.
Es ist die gute Nachricht auch für den, der stirbt.
Denn: Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben, sagt Jesus.
Glaubst du das?
*
Glaube: Zwischen Sehen und Vertrauen
Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen.
Zu spät gekommen:
Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben, sagt Martha.
Herr, wärst du hier gewesen, mein Brüder wäre nicht gestorben, sagt Maria.
Konnte er nicht machen, dass dieser nicht sterben musste?, sagen die Leute aus dem Volk.
Sie ahnen es, sie wissen es:
Wo Jesus ist, da ist das Leben.
Da werden Blinde sehend.
Da werden Kranke geheilt.
Warum nicht dieser?
Warum war Jesus nicht da?
Herr, wärst du hier gewesen!
Jesus sagt, was man so sagt.
Was wir auch so sagen als Pfarrer:
Dein Bruder wird auferstehen.
Und Martha sagt, was man so sagt als gläubige Christen oder Jüdin:
Ich weiß, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.
Wie viel Trost, wie viel Hoffnung, wie viel Leben ist wirklich in solchen Worten, wenn wir sie an den Gräbern sprechen?
Gegen den Augenschein?
Gegen die Trauer?
Christus spricht: Ich bin die Auferstehung und das Leben: Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.
Glaubst du das?
Martha spricht zu ihm:
Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
Oder so:
Ich vertraue dir.
Ich weiß nicht, was kommt.
Ich sehe nur das Grab.
Ich spüre nur die Leere, dort, wo mein Bruder vorher war: in meinem Haus, in meinem Herzen.
Ich habe nichts im Himmel und auf Erden als dich, Jesus.
Mein Herr und mein Gott.
Mein Leben.
Ich sehe nichts, aber ich vertraue dir.
Ja, Herr, ich glaube.
Als Lazarus aus dem Grab gekommen ist, glauben sie alle an Jesus – oder zumindest viele.
Weil sie sehen, was es eigentlich gar nicht zu sehen gibt: Die Auferstehung der Toten.
Aber plötzlich ist es für alle sichtbar, was er Martha gesagt hat:
Ich bin die Auferstehung und das Leben.
Sie haben gesehen und dann geglaubt.
Martha hat erst geglaubt und dann gesehen.
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
Das hat Jesus auch gesagt.
*
Trauer: Zwischen Wut und Protest
Es liegt einer krank.
Oder es ist einer gestorben.
Und wir glauben trotzdem an Jesus:
Wo er ist, da ist das Leben.
Er ist die Auferstehung und das Leben.
Und trotzdem:
Wir sind traurig und wütend.
Warum haben diese Viren oder Metastasen so eine Macht?
Wie kann es sein, dass Menschen aus dem Leben gerissen werden, aus unserer Gemeinschaft, zu der sie gehören – einfach so?
Warum müssen wir immer wieder an Gräbern stehen oder Asche ins Meer streuen und allein wieder nach Hause gehen?
Ein wenig klingt es in unserer Geschichte so, als freute sich Jesus, dass Lazarus gestorben ist: so kann er Gottes Macht und Herrlichkeit zeigen.
Aber als er mit Maria und den Trauerleuten vor dem Grab steht, da übermannt ihn die Wut und die Trauer. Seine Stimme bebt, und seine Augen füllen sich mit Tränen.
Und als er dann befiehlt, das Grab zu öffnen, und als er Lazarus herausruft, da tut er das wohl auch mit einer gehörigen Portion Wut:
Diesem verdammten Tod wird er es zeigen:
Ich bin die Auferstehung und das Leben!
Christen sind Protestleute gegen den Tod, hat mal einer gesagt.
Weil Jesus den Tod nicht akzeptiert, müssen wir ihn auch nicht klaglos hinnehmen.
*
Tod: Zwischen Leben und Leben
Das Merkwürdigste an dieser Geschichte ist, dass uns praktisch nichts von Lazarus erzählt wird:
Was hat er erlebt, als er gestorben ist?
Als er tot war?
In Abrahams Schoß?
War es gut für ihn, wieder aufzuwachen?
Ins Leben zurückgerufen zu werden?
Um irgendwann wieder sterben zu müssen?
Was hat er gesagt?
Getan?
War wieder alles wie früher?
Oder völlig anders?
Wir erfahren nichts.
Außer, dass die Hohenpriester beschlossen, nicht nur Jesus, sondern auch Lazarus zu töten.
Haben sie diesen Beschluss in die Tat umgesetzt?
Hat Lazarus seine Auferweckung vielleicht nur wenige Tage überlebt?
Wir erfahren nichts über Lazarus.
Aber wir erfahren etwas darüber, wie Jesus den Tod sieht:
Lazarus, unser Freund, schläft, aber ich gehe hin, ihn aufzuwecken.
Der Tod ist der Bruder des Schlafes – so heißt es.
Totsein ist wie Schlafen, nur ohne Träume – so stellen es sich manche vor, um dem Tod seinen Schrecken zu nehmen.
Allein, für mich wäre das gerade das Schrecklichste: nicht mehr aufzuwachen.
Jesus sagt: Es gibt ein Aufwachen.
Ich wecke die Toten auf.
An Lazarus könnt ihr es sehen.
Und glauben lernen.
Es gibt ein Erwachen.
Und genau deshalb ist der Tod des Schlafes Bruder.
Er hat seinen Schrecken verloren.
Es gibt ein wunderbares Lied von Martin Luther; es ist nur leider ganz schwer zu singen, deshalb lese ich euch nur die erste Strophe vor:
Mit Fried und Freud ich fahr dahin
in Gotts Wille;
getrost ist mir mein Herz und Sinn,
sanft und stille,
wie Gott mir verheißen hat:
der Tod ist mir Schlaf worden. (EG 519,1)
Der Tod ist schlimm.
Er macht uns traurig und wütend.
Aber Jesus ist das Leben.
Er hat dem Tod die Macht genommen.
Und den letzten, grausamen Schrecken.
Er verspricht:
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.
Glaubst du das?

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