Sonntag, 18. Januar 2015

Predigt am 18. Januar 2015 (2. Sonntag nach Epiphanias)

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob. (Römer 15, 7)

Das ist die Jahreslosung für 2015. Das Jahr ist schon fast drei Wochen alt, und wir haben noch gar nicht drüber gesprochen. Wird Zeit, dass wir es tun.
Und damit wir die Jahreslosung ins Ohr und auch ins Herz bekommen, wollen wir sie miteinander singen. In Form eines Kanons, den ich von unserer Pfarrerkonferenz von letzter Woche mitgebracht habe.
Kanon: Nehmet einander an
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.
Annehmen. Ein Geschenk zum Beispiel nehme ich an. Ich bekomme es überreicht. Ich nehme es in meine Hand. Ich packe es aus. Ich sehe es an. Es gefällt mir. Ich freue mich daran. Es findet seinen Platz in meinem Leben. Ich habe es angenommen, denn es ist mir angenehm.
Annehmen ist sonderbar. Eigentlich tue ich nichts. Ich bin passiv. Ich empfange etwas. Mir begegnet etwas. Und doch werde ich aktiv. Ich öffne meine Hand, um zu empfangen. Ich nehme etwas entgegen. Ich öffne meinen Mund und sage Danke. Ich gebe ihm einen Platz in meinem Leben.
Ablehnen ist das Gegenteil von Annehmen. Annahme verweigert. Oder aber ich nehme es äußerlich an und lehne es innerlich ab. Wir alle haben schon Geschenke angenommen, die wir eigentlich nicht mochten. Wir haben sie ausgepackt, angesehen, uns drüber geärgert und irgendwohin getan. Sie haben keinen Platz gefunden in unserem Leben. Sie waren uns unangenehm.
Ob ich ein Geschenk annehme oder ablehne, hat auch mit dem Schenkenden zu tun. Nehme ich sein Geschenk an, dann nehme ich auch ihn an. Und lehne ich ihn ab, dann lehne ich wohl auch sein Geschenk ab.
Nehmt einander an. – Das heißt: Ein Mensch kann dem anderen zum Geschenk werden. Und der Schenkende ist Gott.
Kanon: Nehmet einander an
Ein Mensch wird dem anderen zum Geschenk. Und der Schenkende ist Gott.
Das erleben wir ganz konkret und hautnah im Miteinander der Liebe zwischen zwei Menschen. Die christliche Trauung macht das besonders deutlich:
Ich nehme dich als meine Ehefrau/als meinen Ehemann aus Gottes Hand, so haben wir es uns bei der Trauung wörtlich gesagt.
Wir haben uns den anderen nicht einfach ausgesucht. Wir haben uns einander auch nicht gegenseitig zum Geschenk gemacht. Sondern Gott hat uns einander anvertraut. Und wir haben das Geschenk angenommen. Der andere hat seinen Platz in meinem Leben gefunden.
Wir waren berührt, als unsere Madrider Kollegen vorige Woche sagten: „Die Jahreslosung hat für uns eine ganz besondere Bedeutung. Das ist unser Trauspruch.“
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.
Die Ehe ist der Modellfall für das Einander-Annehmen.
Kanon: Nehmet einander an
Ein Mensch wird dem anderen zum Geschenk. – Oder aber zur Last. Besonders schlimm, wenn uns ein Mensch einmal ein Geschenk war, ja, wenn wir ihn immer noch lieben, und er uns dennoch zur Last wird. Weil er nicht mehr der Alte ist. Oder gerade, weil er alt geworden ist. Wir haben ihn einst angenommen. Und jetzt nehmen wir uns seiner an. – Aber manchmal möchten wir ihn am liebsten wieder abgeben.
Ja, vielleicht sollten wir das sogar tun: Ihn abgeben. An Gott, im Gebet. Möge er sich um ihn kümmern. Wir schaffen es nicht allein. Möge Gott sich seiner annehmen, und unser.
Kanon: Nehmet einander an
Einander annehmen. Manche sagen, das passt in dieses neue Jahr mit seinen großen Konflikten. Wo Menschen sich täglich beweisen, dass sie einander nicht annehmen können und wollen.
Terroristen oder Faschisten nennen sie sich wechselseitig im Osten der Ukraine. – Wie sollen die einander annehmen?
Fast überall auf der Welt – inzwischen – töten, bekämpfen oder bedrohen die Anhänger einer Religion des selbstgerechten Hasses alles, was sich ihrer Ideologie nicht beugt. Wenn das in Paris geschieht, sind wir erschüttert. Wenn es tausendfach in Nigeria geschieht, dann nehmen wir es kaum noch zur Kenntnis. – Können, sollen, dürfen wir die annehmen? Mörder, Terroristen, Fanatiker? Und wie viel Angst ist erlaubt, wenn die Anhänger dieser mörderischen Religion mitten unter uns leben? Wie anfällig sind die viel beschworenen friedlichen Muslime? Auf welcher Seite stehen sie im Ernstfall?
Menschen in Dresden und anderswo artikulieren ihre Ängste, ihre Sorgen, manche auch ihren Hass. Sie bekunden ihre Verachtung für Politik, Medien und Mainstream. Und ihnen schlägt dieselbe Verachtung entgegen. Politiker, Medien, die linksliberale Öffentlichkeit sind sich einig: unannehmbar. – Und die Frage steht: Wen können, wen wollen wir annehmen, ernstnehmen? Wem wollen wir zuhören und wem nicht? Wo sind die Grenzen dessen, was wir ertragen können, an Fremdem, an Eigenem, an Kritik, an Hass?
Nehmt einander an! – Weltlich gesprochen heißt das Toleranz. Und es bedeutet: Einander ertragen. Auch die schwer Erträglichen. Auch die Intoleranten.
Wir werden daran weiter zu buchstabieren haben in diesem Jahr…
Kanon: Nehmet einander an
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.
Das schreibt der Apostel Paulus an die christliche Gemeinde in der Welthauptstadt Rom. Das sind Juden, die angefangen haben an Jesus als den Messias zu glauben. Und das sind Heiden, Griechen und Barbaren, die ebenfalls angefangen haben an Jesus zu glauben, den Sohn des einzig wahren Schöpfergottes. Menschen, denen ihre Traditionen heilig sind, aus denen sie kommen. Und Menschen, die alte Traditionen über Bord geworfen haben, wegen des neuen Glaubens. Die miteinander diskutieren und streiten: Was gehört dazu zum Christsein? Was darf ich und was nicht? Menschen, die ohne ihren Glauben an Jesus nichts Gemeinsames haben, was sie sonst zusammengeführt hätte. – An diese bunte, spannungsvolle und immer vom Auseinanderbrechen bedrohte Gemeinde schreibt Paulus seinen Grundsatzbrief: Christus hat euch angenommen, so verschieden ihr auch seid. Und deshalb: Nehmt euch gegenseitig an, so verschieden ihr auch seid. Damit verkündigt ihr die Ehre Gottes.
Dieser eine Satz, die Jahreslosung fasst alles zusammen, was Paulus 16 Kapitel lang im Römerbrief erklärt: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.
Das ist die kürzeste Beschreibung von Christsein, die es gibt: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.
Kanon: Nehmet einander an
In der christlichen Gemeinde üben wir, wie das geht: einander annehmen. Auch in unserer. Ich glaube, wir sind da gar nicht so schlecht, denn wir sind schon ein sehr bunt zusammengewürfelter Haufen. Und doch halten wir es miteinander aus und nehmen wir einander an: Leute mit unterschiedlichen christlichen Traditionen: Evangelikale und Liberale, Lutheraner und Reformierte, Katholiken und Freikirchler. Leute unterschiedlicher Herkunft und Lebensart: Bayern und Fischköppe, Rheinländer und Sachsen, Niederländer und Polen…, Musikalische und Sportliche, Touristen und Residenten, Senioren und noch Ältere, Reiche und weniger Reiche…, Laute und Leise, Männer und Frauen.
Natürlich: der eine kann mit diesem besser, die andere mit jenem. Aber keiner sagt: Du darfst nicht dazugehören. Wir bemühen uns schon, einander anzunehmen. Und meistens gelingt uns das.
Kanon: Nehmet einander an
… wie Christus euch angenommen hat.
Angenommen, ich bin angenommen. Angenommen, ich kann ganz sicher sein, dass mich einer nicht ablehnt, nicht zurückweist, niemals. Angenommen, das ist wahr – dann kann mir eigentlich nichts Schlimmes mehr geschehen.
Angenommen, du bist angenommen, angenommen von Christus, so wie ich. Dann nehme auch ich dich gerne an. Als Mensch, als Schwester, als Bruder, als Gotteskind.

Kanon: Nehmet einander an

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