Sonntag, 12. Oktober 2014

Predigt am 12. Oktober 2014 (17. Sonntag nach Trinitatis)

(Der Apostel schreibt:) Ich ermahne euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.
Epheser 4, 1-6

Liebe Schwestern und Brüder,

als ich letzte Woche hier unten am Strand lang ging, waren wieder Sandkünstler am Werk. Sie hatten kunstvolle Gebilde geformt: eine Burg; und auch ein christliches Motiv war dabei: eine Pietà – Maria mit ihrem verstorbenen Sohn. Sandkunst. Schneller und einfacher zu erschaffen als ein Kunstwerk aus Holz, Stein oder Bronze. Aber auch vergänglicher. Der Sand trocknet, beginnt zu bröckeln, der Wind weht drüber und bläst die Körner weg, vielleicht kommt sogar eine Wasserwoge und das ganze Gebilde löst sich auf. Oder einfach nur ein böser Mensch, der mit ein paar Fußtritten alles zerstört. Dann ist der Sand wieder bloßer Sand. Jedes Körnchen für sich.

Was diese Kunstwerke – und das gilt für jedes Kunstwerk – zu dem machen, was wir darin erblicken – eben nicht nur Sand –, was diese Kunstwerke zu etwas Besonderem machen, das ist der menschliche Geist. Er gestaltet Bilder – und sei es aus Sand – nach anderen Bildern, die er im Kopf hat. Und der menschliche Geist ist es auch, der in diesen Kunstwerken das erblickt, was sie darstellen sollen: Für eine Möwe oder ein Hund ist das auch nur ein Haufen Sand, sie werden sich respektlos daraufsetzen oder hineinspringen. Ihnen fehlt halt der Geist.

*

Als Gott – ganz am Anfang seiner Schöpfung – über die Erde ging – wir haben vor 14 Tagen davon gehört –, da war die Erde noch wüst und leer: keine Sträucher, keine Kräuter, keine Bäume – nur Stein und Sand, staubige Erde. Und dann wurde Gott selber zum Künstler: Aus nebelbefeuchtetem Erdenstaub formte er den Menschen: nach seinem Bilde, nach dem Bild, das er im Sinne hatte. Gottes Geist gab dem Menschen seine Gestalt. Der Mensch ein Sandkunstwerk. Nicht aus Stein gemeißelt, nicht in Bronze gegossen, aus keinem Holz geschnitzt, sondern Erde von Erde. Eine Wasserwoge – und schon ist er weggeschwemmt. Ein Windhauch – und seine Gestalt löst sich auf: Staub zu Staub. Verletzlich. Vergänglich.

Aber Gott tat, was kein Sandstrandkünstler kann: Er hauchte seinem Werk Leben ein. Odem des Lebens. Und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen. Nicht nur ein totes Bild. Nein, ein lebendiges Gegenüber, das sich selbst erkennt – im Spiegel seines Schöpfers. Und in dem sich der Schöpfer selber erkennt. Geist. Leben.

Erdenstaub – Wasser – Gottesgeist: das ist der Mensch. Ein lebendiges Wesen.

Ein Leib und ein Geist.

Die alten Griechen sprachen von der Seele. Was unterscheidet einen toten Leib von einem lebendigen? Die Seele. Wo eine Seele ist, wird tote Materie lebendig. Wenn die Seele den Körper verlässt, zerfällt er. Löst sich auf. Wird zu Staub und Asche.

Die Juden sprachen vom Geist. Gottes Geist. Wo der Geist ist, da ist Leben. Wo Gottes Geist fehlt, da endet das Leben. Da zerfällt alles. Löst sich auf. Wird wieder zu Erde.

Nicht nur der Leib des Menschen zerfällt, wenn der Geist fehlt. Auch menschliche Gemeinschaften: Familien, Völker, Staaten, Zivilisationen.

Wahrscheinlich erleben wir das gerade: wie diese Gemeinschaften, in denen wir leben, sich mehr und mehr auflösen: Weil Gottes Geist nicht mehr weht bei uns. Oder nur noch wenig.

*

Als Gott – vor zwei Jahrtausenden – wieder über die Erde ging, da sah er, wie menschliche Gemeinschaften bedroht waren vom Zerfall: Gottes Volk gefangen in hartherzigem Streit um die richtige Auslegung von Gottes Geboten. Überzeugt, dass Gottes Geist seit den Zeiten der Propheten von ihnen gewichen war. Unterdrückt von den Römern, die sie am liebsten in die große Völkergemeinschaft ihres Imperiums hinein assimilieren wollten. Und Gott wurde wieder zum Künstler: Aus Menschen, die jeder für sich ihr Leben lebten, formte er die Kirche: eine Gemeinschaft nach seinem Bilde. Einige berief er zu Aposteln, seinen persönlichen Gesandten, andere rief er einfach so in seine Nachfolge. Seine Worte und seine Taten verbanden sie miteinander zu einem Leib. Sein Leben, das er für sie gab, wurde ihr Leben. Zuletzt hauchte er ihnen seinen Geist ein – Odem des Lebens. Und so wurde die Kirche ein lebendiger Organismus.

Ein Leib und ein Geist.

Die christliche Kirche: Leib Christi, belebt von Gottes Geist.
Berufen, die anderen menschlichen Gemeinschaften – Familien, Völker, Staaten und Zivilisationen – zu beleben, zu durchgeistigen.

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Wenn bei uns, in der Kirche Gottes Geist nicht mehr wehen würde, dann würde auch sie, die Kirche, sterben. Würde zerfallen und zerbröseln wie eine Sandburg.

Das soll nicht sein. Darum muss die Kirche beieinander bleiben. All die einzelnen Sandkörner, aus denen Gott sie als sein Kunstwerk zusammengefügt hat. All die verschiedenen Glieder, die gemeinsam ihren Leib bilden.

Das Wasser der Taufe hat uns zu einem Leib zusammengefügt. Die Wasserwogen des Zeitgeistes sollen uns nicht auseinanderspülen.

Der Glaube an den einen Herrn ist in uns allen. Die Glaubensunterschiede zwischen den vielen einzelnen Christen, sollen uns nicht voneinander trennen.

Der eine Geist Gottes atmet in uns allen und lässt uns lebendig sein. Wir sollen uns die Gegenwart des Gottesgeistes nicht gegenseitig absprechen.

Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens, schreibt der Apostel.

Die Einheit der Kirche beginnt im allerkleinsten: indem wir einander ertragen, es miteinander aushalten, den anderen als Bruder, als Schwester annehmen. – Und wenn ich unsere bunte Gemeinde anschaue, dann scheint mir: Oft gelingt uns das schon ganz gut. Oft ist da Geist und Leben. Und Hoffnung.

Genau dazu sind wir berufen: Geist und Leben und Hoffnung in die Welt zu bringen. Ganz im Kleinen. Und dann auch ganz im Großen

Denn solange die Kirche als der Leib Christi lebt, solange Gottes Geist sie durchdringt, solange sie dem einen Herrn und Gott in Glaube und Taufe verbunden ist, solange gibt es Hoffnung für unsere Welt.



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