Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
der christliche Glaube ist vor allem für das zuständig, was man nicht sehen, nicht hören, nicht messen, nicht berechnen kann. Und was wir trotzdem zum Leben brauchen: Glauben und Vertrauen, Liebe und Zuneigung, Sinn und Hoffnung. Der christliche Glaube ist zuständig nicht nur für diese Welt, in der wir jetzt für eine gewisse Zeit leben, sondern vor allem für Gottes Welt, zu der wir schon gehören und in der wir ewig leben werden.
Ich erlebe in unseren Kirchen und Gemeinden eine große Zurückhaltung, wenn es darum geht über den Himmel, das ewige Leben und die Auferstehung der Toten zu reden, also über das, was wir nicht sehen und doch glauben – oder glauben sollen – oder glauben wollen – und vielleicht kaum glauben können.
Es ist in gewisser Weise tröstlich, dass schon die Apostel in biblischen Zeiten ein Problem damit hatten, glaubwürdig von der Auferstehung und dem ewigen Leben zu reden. Über eine Begegnung zwischen Paulus und den gebildeten Athenern wird bezeichnenderweise berichtet: Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiter hören (Apostelgeschichte 17, 32). – Offensichtlich konnte sich Paulus in diesem Punkt nicht verständlich machen.
Er muss weiter darüber nachgedacht haben. Im 1. Brief an die Korinther findet er Bilder und Beispiele für das, was wir uns eigentlich gar nicht vorstellen können. Er vergleicht unseren irdischen Leib mit einem Weizenkorn, mit einem Samen, der in die Erde fällt und der sich durch Wärme, Feuchtigkeit und die nötigen Nährstoffe in eine Pflanze verwandelt. Dem Samenkorn sieht man nicht an, was in ihm steckt. So sieht man es auch uns nicht an, was in uns steckt und was aus uns werden kann in Gottes Ewigkeit. Es übersteigt unsere Vorstellungskraft.
In den Herrnhuter Losungen steht heute ein Vers aus diesem Kapitel: Gesät wird in Niedrigkeit, auferweckt wird in Herrlichkeit. Gesät wird in Schwachheit, auferweckt wird in Kraft (1. Korinther 15, 43).
Vielleicht können uns solche und ähnliche Bilder helfen zu glauben, was wir nicht sehen und doch zum Leben brauchen: dass wir zu Gottes Welt gehören und bei ihm ewig leben werden.
Mittwoch, 29. Februar 2012
Dienstag, 28. Februar 2012
Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 28. Februar 2012
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
manchmal klingen Bibelworte überaus aktuell. So steht heute in den Herrnhuter Losungen der folgende Satz: Geldgier ist eine Wurzel alles Übels; danach hat einige gelüstet und sie sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen. (1. Timotheus 6,10)
Europa, vielleicht sogar die Welt, befindet sich in einer ernsten Finanzkrise, und woran das liegt, ist schnell ausgemacht: an der Geldgier. Gierige Banker, gierige Manager, gierige Spekulanten – sie sind Schuld an der Krise. So heißt es. Oder gleich das ganze Finanzsystem.
Ich muss gestehen, mir ist diese Erklärung zu einfach, zu einäugig. Ich sehe die Geldgier viel weiter gestreut: auch bei uns, auch bei mir. Wenn ich mich nach einer möglichst ertragsstarken Anlage für mein Vermögen umsehe, dann bin ich selber auch ein Spekulant, der möglichst viel rausholen will aus seinem eingezahlten Kapital. Mein Fondsmanager spekuliert halt in meinem Auftrag, und ich bin Teil des Systems.
Und auch als Steuerzahler und Staatsbürger, der ich versuche, so wenig wie möglich einzuzahlen, aber so viel wie möglich herauszuholen aus den staatlichen Leistungen und den Sozialkassen, handle ich im Grunde genommen geldgierig und trage mit zum Staatsschuldendesaster bei.
Man kann sagen: Das ist ökonomisch gesehen ein ganz rationales Verhalten. – Oder man nennt es eben Geldgier.
Das Problem daran ist: Der Mensch ist so. Er handelt gewinnorientiert. Und es ist nahezu unmöglich, aus diesem System auszusteigen. Ganz und gar unmöglich ist es, es abschaffen zu wollen. Dann müssten wir den Menschen abschaffen. Entsprechende Experimente sind bereits gescheitert.
Was uns helfen könnte, das liegt auf einer anderen, auf der persönlichen Ebene. Stellen wir uns einfach immer mal wieder die folgenden Fragen: Ist das Geld für uns Lebensinhalt oder Lebensmittel? Hängen wir unser Herz ans Geld oder an Gott? Geht für uns die Welt unter, wenn wir finanziell und materiell Verluste machen, oder wissen wir uns so oder so in Gottes Hand? Können und wollen wir teilen und abgeben von dem, was wir haben?
Der Gegensatz zur Gier ist Großzügigkeit. Wer Gott vertraut, kann sich Großzügigkeit leisten.
manchmal klingen Bibelworte überaus aktuell. So steht heute in den Herrnhuter Losungen der folgende Satz: Geldgier ist eine Wurzel alles Übels; danach hat einige gelüstet und sie sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen. (1. Timotheus 6,10)
Europa, vielleicht sogar die Welt, befindet sich in einer ernsten Finanzkrise, und woran das liegt, ist schnell ausgemacht: an der Geldgier. Gierige Banker, gierige Manager, gierige Spekulanten – sie sind Schuld an der Krise. So heißt es. Oder gleich das ganze Finanzsystem.
Ich muss gestehen, mir ist diese Erklärung zu einfach, zu einäugig. Ich sehe die Geldgier viel weiter gestreut: auch bei uns, auch bei mir. Wenn ich mich nach einer möglichst ertragsstarken Anlage für mein Vermögen umsehe, dann bin ich selber auch ein Spekulant, der möglichst viel rausholen will aus seinem eingezahlten Kapital. Mein Fondsmanager spekuliert halt in meinem Auftrag, und ich bin Teil des Systems.
Und auch als Steuerzahler und Staatsbürger, der ich versuche, so wenig wie möglich einzuzahlen, aber so viel wie möglich herauszuholen aus den staatlichen Leistungen und den Sozialkassen, handle ich im Grunde genommen geldgierig und trage mit zum Staatsschuldendesaster bei.
Man kann sagen: Das ist ökonomisch gesehen ein ganz rationales Verhalten. – Oder man nennt es eben Geldgier.
Das Problem daran ist: Der Mensch ist so. Er handelt gewinnorientiert. Und es ist nahezu unmöglich, aus diesem System auszusteigen. Ganz und gar unmöglich ist es, es abschaffen zu wollen. Dann müssten wir den Menschen abschaffen. Entsprechende Experimente sind bereits gescheitert.
Was uns helfen könnte, das liegt auf einer anderen, auf der persönlichen Ebene. Stellen wir uns einfach immer mal wieder die folgenden Fragen: Ist das Geld für uns Lebensinhalt oder Lebensmittel? Hängen wir unser Herz ans Geld oder an Gott? Geht für uns die Welt unter, wenn wir finanziell und materiell Verluste machen, oder wissen wir uns so oder so in Gottes Hand? Können und wollen wir teilen und abgeben von dem, was wir haben?
Der Gegensatz zur Gier ist Großzügigkeit. Wer Gott vertraut, kann sich Großzügigkeit leisten.
Montag, 27. Februar 2012
Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 27. Februar 2012
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
immer häufiger nehme ich in den letzten Jahren eine aggressive Kritik an der Religion im allgemeinen und am christlichen Glauben insbesondere wahr. Christen werden als dumm, naiv und geistig zurückgeblieben hingestellt. Es heißt, Religion mache den Menschen Angst; sie drohe ja mit der Hölle. Und ihr Gott sei böse, denn er verhindere weder Krieg noch Katastrophen, rechtfertige Gewalt und lasse Menschen ganz bewusst in ihr Verderben laufen. Für all diese Behauptungen ließen sich Beispiele aus den Heiligen Schriften und aus der Geschichte beibringen. Also: Gott ist böse, und Religion ist schlecht.
Die Sicht dieser Religionskritiker finde ich, um das Mindeste zu sagen, sehr einseitig. Sie übersehen dabei nämlich, dass die zentralen Inhalte des christlichen Glaubens genau das Gegenteil von dem aussagen, was sie behaupten.
So heißt ein wichtiger und viel zitierter Satz der Bibel, der heute auch in den Herrnhuter Losungen steht: Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Timotheus 2,4).
Das heißt ja wohl: Gott möchte gerade nicht, dass die Menschen zur Hölle gehen. Er möchte nicht, dass sie Gewalt erleiden müssen. Und er möchte nicht, dass sie verdummt werden und geistig zurückbleiben.
Und die Christen haben das ernst genommen. Hilfe für Leib und Seele sowie Bildung für den Geist – das gehörte fast immer und überall zu den Kennzeichen christlichen Lebens. Mittelalterliche Klöster waren Orte, wo Arme auf Hilfe hoffen durften, wo Kranke gepflegt wurden und wo Bildung weitergegeben wurde. Lange bevor es ein staatliches Schulwesen gab, gehörte die Schulbildung zu den grundlegenden kirchlichen Aktivitäten. Krankenhäuser wurden von Nonnen und Diakonissen eingerichtet und geführt.
Es ist sicher kein Zufall, dass kirchliche Tätigkeit in der Gesellschaft bis heute in diesen Bereichen hohe Wertschätzung genießt: im Bereich der Diakonie, also sozialer Arbeit, und im Bereich der Bildung, also als Träger von Schulen und Kindergärten.
Das hat genau damit zu tun, dass wir an einen menschenfreundlichen Gott glauben, der will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
immer häufiger nehme ich in den letzten Jahren eine aggressive Kritik an der Religion im allgemeinen und am christlichen Glauben insbesondere wahr. Christen werden als dumm, naiv und geistig zurückgeblieben hingestellt. Es heißt, Religion mache den Menschen Angst; sie drohe ja mit der Hölle. Und ihr Gott sei böse, denn er verhindere weder Krieg noch Katastrophen, rechtfertige Gewalt und lasse Menschen ganz bewusst in ihr Verderben laufen. Für all diese Behauptungen ließen sich Beispiele aus den Heiligen Schriften und aus der Geschichte beibringen. Also: Gott ist böse, und Religion ist schlecht.
Die Sicht dieser Religionskritiker finde ich, um das Mindeste zu sagen, sehr einseitig. Sie übersehen dabei nämlich, dass die zentralen Inhalte des christlichen Glaubens genau das Gegenteil von dem aussagen, was sie behaupten.
So heißt ein wichtiger und viel zitierter Satz der Bibel, der heute auch in den Herrnhuter Losungen steht: Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Timotheus 2,4).
Das heißt ja wohl: Gott möchte gerade nicht, dass die Menschen zur Hölle gehen. Er möchte nicht, dass sie Gewalt erleiden müssen. Und er möchte nicht, dass sie verdummt werden und geistig zurückbleiben.
Und die Christen haben das ernst genommen. Hilfe für Leib und Seele sowie Bildung für den Geist – das gehörte fast immer und überall zu den Kennzeichen christlichen Lebens. Mittelalterliche Klöster waren Orte, wo Arme auf Hilfe hoffen durften, wo Kranke gepflegt wurden und wo Bildung weitergegeben wurde. Lange bevor es ein staatliches Schulwesen gab, gehörte die Schulbildung zu den grundlegenden kirchlichen Aktivitäten. Krankenhäuser wurden von Nonnen und Diakonissen eingerichtet und geführt.
Es ist sicher kein Zufall, dass kirchliche Tätigkeit in der Gesellschaft bis heute in diesen Bereichen hohe Wertschätzung genießt: im Bereich der Diakonie, also sozialer Arbeit, und im Bereich der Bildung, also als Träger von Schulen und Kindergärten.
Das hat genau damit zu tun, dass wir an einen menschenfreundlichen Gott glauben, der will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Sonntag, 26. Februar 2012
Predigt am 26. Februar 2012 (Invokavit)
Als Mitarbeiter Gottes ermahnen wir euch, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt. Denn er spricht (Jesaja 49, 8): "Ich habe dich zur Zeit der Gnade erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen." Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!
Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit unser Amt nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.
Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit unser Amt nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.
2. Korinther 6, 1-10
Liebe Schwestern
und Brüder,
Kindern gehört die
Zukunft. Kinder sind von Natur aus auf die Zukunft ausgerichtet. Sie
machen sich spielend die Welt zu eigen, in der sie leben und in der
sie leben wollen. Sie stellen sich vor, wie es ist, erwachsen zu
sein, und im Spiel nehmen sie das Leben von Erwachsenen vorweg: ob
als Lego-Baumeister oder Puppendoktor, als Verkäuferin oder
Autofahrer. Und sie sind zuversichtlich, dass das Leben Spaß macht
und gelingt. Kinder leben im Morgen, denn ihnen gehört die Zukunft;
und diese Zukunft scheint ihnen unendlich zu sein.
Alten Menschen
gehört die Vergangenheit. Auch wenn sie manchmal wieder wie die
Kinder werden, so sind sie doch, anders als die Kinder, kaum noch auf
die Zukunft ausgerichtet. Sie leben in der Vergangenheit, in einer
Zeit, die ihr Leben geprägt hat, in einer Welt, die für ihre Kinder
und Enkel schon im Dunkel der Geschichte untergegangen ist. Sie
stellen sich vor, wie das Damals war. Vielleicht hören sie mit
Tränen im Knopfloch die alten Melodien – so wie manche vorgestern
abend. Vielleicht färben sie sich schwere Zeiten auch schöner, als
sie waren. Sie freuen sich, wenn sie ihre Erinnerungen teilen können.
Aber vom Morgen, von der Zukunft erwarten sie nicht mehr viel. Das
Leben scheint schon jetzt ohne sie weiter zu gehen; oft kommen sie
nicht mehr mit, und meistens wollen sie das auch gar nicht mehr.
Für Kinder liegt
die beste Zeit des Lebens noch vor ihnen, in der Zukunft. Für Alte
liegt die beste Zeit des Lebens schon hinter ihnen, in der
Vergangenheit. – Und für uns?
Unser Predigttext
sagt: Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des
Heils. (Die angenehme Zeit – das ist eine ältere, und
wie ich finde, richtigere Übersetzung; auch wenn Zeit der Gnade
sachlich auch zutreffend ist. Aber es geht hier um die richtige,
die gute, die angenehme, die beste Zeit.)
Die beste Zeit des
Lebens liegt demnach in der Gegenwart.
Vielleicht meinen
wir, das müsste jetzt nach der Logik meiner Worte über Kinder und
Alte vor allem für erwachsene Menschen in den mittleren Lebensjahren
zutreffen. Die leben in der Gegenwart, die stehen mitten im Leben.
Die können es sich gar nicht leisten, in die Vergangenheit
zurückzuträumen oder auf eine noch bessere Zukunft zu hoffen – Wobei: manchem erscheint vielleicht auch der nahende Ruhestand als
eine bessere Zukunft. Und doch wissen wir ja dann auch nicht, wie
lange wir ihn genießen können, und der Abschied vom tätigen Leben
fällt auch nicht jedem leicht. – Also wäre die beste Zeit des
Lebens nur in der Mitte des Lebens? Dumm nur, dass gerade dann die
Midlife Crisis zuschlägt, wo uns das erste Mal der nostalgische
Rückblick auf die Jugend ereilt und uns die Begrenztheit unserer
zukünftigen Lebenszeit richtig bewusst wird.
Nein, die beste
Zeit des Lebens liegt nicht in der Mitte des Lebens, sondern in der
Gegenwart des Lebens, immer – auch für den jungen Menschen,
auch für das Kind. Und ebenso für den alten Menschen. Die beste
Zeit ist heute.
Ja, unsere Träume
von der Zukunft und unsere Erinnerungen aus der Vergangenheit sind
natürlich wichtig, sie gehören zu uns, ohne sie wären wir arm.
Aber leben, wirklich leben können wir doch immer nur in der
Gegenwart, im Heute. Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist
der Tag des Heils.
Warum jetzt, warum
heute? Warum nicht auf die bessere Zukunft hoffen? Warum nicht an die
gute alte Zeit erinnern?
Weil das Jetzt,
weil das Heute Gottes Zeit ist. Gott ist nicht von gestern. Und Gott
ist nicht erst morgen. Gott ist jetzt und heute.
Wir stehen mit
unserem christlichen Glauben und mit unserer christlichen
Verkündigung in derselben Gefahr wie ein Mensch in der Mitte seines
Lebens, der doch die Gegenwart verpasst, weil er im Gestern lebt oder
im Morgen und darüber das Heute vergisst.
Denn natürlich:
Wir erzählen alte Geschichten aus der Vergangenheit. Wir erzählen
davon, wie einst Gott mit seinem Volk gehandelt und zu den Menschen
gesprochen hat. Wir erzählen davon, wie Jesus geboren wurde, wie er
gelebt hat, was er gesagt und getan hat, wie er gestorben ist und wie
dann doch immer mehr Menschen daran geglaubt haben, dass er lebt, und
wie das ihr Leben verändert hat und die Welt verändert hat. Die
alten Geschichten aus der Bibel, die alten Geschichten des Glaubens.
Und wir neigen dazu, nostalgisch zu werden: Ja, damals! Ja, wenn wir
dabei gewesen wären! Ja, wenn Gott heute noch so deutlich sprechen
würden und wenn wir heute noch solche Wunder erleben würden!
Vielleicht erzählen
wir auch die alten Geschichten aus unserem Leben, oder vielleicht
verschweigen wir sie auch, weil sie uns peinlich geworden sind: Wie
wir uns bekehrt haben und wie wir gebrannt haben für unseren Herrn,
wie begeisternd unser geistliches Leben und unsere christliche
Gemeinschaft war. Ja, damals! Und jetzt sind wir alt und abgeklärt,
lächeln milde über manchen jugendlichen Überschwang. Oder fragen
uns, warum unser christliches Leben heute fade und alltäglich
geworden ist.
Und da sagt uns
Gott: Ich bin nicht der Gott von gestern. Ich bin nicht nur damals da
gewesen bei Abraham und Mose, als Jesus auf der Erde wandelte und als
Paulus missionierte. Ich bin heute hier, ich bin der Gott von heute:
Heute ist genau meine Zeit. Angenehme Zeit. Heilszeit. Gnadenzeit.
Ich bin nicht nur
damals da gewesen, als du ergriffen und begeistert warst vom Glauben
und vom christlichen Leben, als mein Wort dich getroffen hat und du
anderen davon sagen musstest. Ich bin heute hier, ich bin der Gott
von heute: Ich rede auch heute zu dir, ich schenke dir auch heute
einen neuen Anfang, ich nehme dich auch heute in meinen Dienst. Denn
es ist angenehme Zeit: Ich nehme dich an. Es ist Heilszeit: Ich heile
dein Leben. Es ist Gnadenzeit.
Und natürlich: Der
christliche Glaube ist auch Zukunftsglaube. Wir hoffen auf das Reich
Gottes. Wir glauben daran, dass mit Gott und bei Gott alles besser
wird. Wir sind uns zwar nicht ganz einig, ob die Verantwortung dafür
nun bei uns liegt: so dass wir das Reich Gottes herbeiführen können,
indem wir unsere Welt immer besser machen, oder ob die Verantwortung
dafür ganz bei Gott liegt: so dass er kommen und die Welt verwandeln
wird. Aber wie auch immer: Die Hoffnung auf Gottes Reich, in dem
Friede und Wohlgefallen sein wird und Leid und Geschrei für immer
vorbei sind, diese Hoffnung auf die Erlösung, die gehört zum
christlichen Glauben unbedingt dazu. – Aber da, in der erlösten
Welt, im Reich Gottes, so sagen wir, sind wir noch nicht, darauf
hoffen, darauf warten wir.
Und dazu gehört ja
auch die persönliche Hoffnung auf Erlösung. Auch wenn uns die Welt
nicht als Jammertal erscheinen will, so ist unsere letzte Hoffnung ja
eben doch jenseits dieser Welt bei Gott: Auferstehung der Toten
und das ewige Leben. Und wenn wir manchen Leidenden und
Sterbenden sehen, dann glauben wir es, dass im Tod Erlösung sein
kann und dass es gut ist, heimzukommen zu Gott.
Und doch sagt uns
Gott: Ich bin nicht der Gott von morgen. Ich bin nicht der, der euch
nur auf eine besseres Leben in der Zukunft und ein ewiges Leben im
Himmel vertröstet. Ich bin nicht der Vertröster auf Morgen, sondern
der Tröster heute. Die Erlösung kommt nicht erst, wenn du stirbst,
sondern die Erlösung kommt jetzt, heute zu dir. Denn heute ist
Heilszeit. Zeit der Erlösung. Zeit der Gnade!
Das ist mir
wichtig, ganz wichtig: Lebt heute und glaubt heute! Und lebt heute
aus dem Glauben! Glaube ist nicht Nostalgie und Glaube ist nicht
Vertröstung. Glaube ist Leben in Gottes Gegenwart.
Gott ist der Gott
von heute: Er ist hier und jetzt. Und du kannst hier und jetzt zu ihm
kommen, zu ihm beten, mit ihm leben.
Heute? – Aber
heute kann so viel dagegen sprechen. – Der Apostel Paulus
beschreibt im zweiten Teil unseres Textes, was alles zu diesem Heute
dazugehören kann, was seine Gegenwart ausmacht: Er lebt in
Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, ja schlimmer noch: in
Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen; in Schande und in bösen
Gerüchten über ihn usw. – Das sieht nicht nach angenehmer
Zeit aus. Und doch ist es das für ihn: Gott ist nämlich dabei,
ist gegenwärtig mit seiner Gnade, mit seinem Heil, mit seiner
Erlösung in all den Problemen, Nöten, Anfechtungen und
Schwierigkeiten. Und darum durchzieht diese Liste seiner
Befindlichkeiten eben auch noch ein ganz anderer, ein positiver Zug.
Er zählt nicht nur auf, woran er zu leiden hat, und weshalb er sich
in eine bessere Vergangenheit zurück oder in eine bessere Zukunft
wünschen könnte, sondern er zählt auch auf, worin seine Gegenwart
gut ist: in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im heiligen
Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft
Gottes usw. – Gott ist nämlich da, ist gegenwärtig in
seiner Gegenwart. Gibt ihm die Kraft, die Zuversicht, den Glauben,
die Hoffnung, die Liebe. Nicht irgendwann, sondern jetzt, heute. –
Mit Gott ist auch die unangenehme Zeit angenehme Zeit. Und so ist er
mit Gott auch als Trauriger fröhlich, als Armer reich, als
Habenichts beschenkt.
Wisst ihr, mir geht
es manchmal so: dass ich weiß: Gott ist hier und jetzt. Es ist seine
Zeit. Und darum ist es die allerbeste Zeit.
Manchmal spreche
ich mit Menschen, denen geht es genau so: Da ist nicht alles im Lot,
nicht alles gut und angenehm. Aber Gott ist in ihrem Leben, und darum
ist es für sie gute Zeit.
Ich wünsche euch
das, jedem von euch: dass ihr von Herzen Ja sagen könnt zu eurer
Gegenwart. Weil ihr wisst, dass es Gottes Gegenwart ist. Seht,
jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils.
Sonntag, 19. Februar 2012
Predigt am 19. Februar 2012 (Estomihi)
So spricht der HERR: Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Amos 5,21-24
Liebe Schwestern
und Brüder,
stellt euch vor,
Gott sagt zu uns: "Ich mag eure Sonntagsgottesdienste nicht mehr. Ich finde
sie unausstehlich. Ich kann es nicht mehr hören, wenn ihr stolz eure
Kollekteneinnahmen verkündet und euch erzählt, wie voll die Kirche
wieder war. Ihr findet euren Gesang beeindruckend, ihr seid stolz auf
euren Kirchenchor, auf eure Organistin, und sogar noch Gitarrenspiel
im Gottesdienst. - Vergesst es! Ich kann es nicht mehr hören!"
Wahrscheinlich
können wir dieses alte Prophetenwort nur deshalb überhaupt
ertragen, weil es nicht zu uns gesagt ist, sondern zu den Menschen im
damaligen Nordreich Israel vor 2.750 Jahren.
Und trotzdem: Wenn
es nichts mit uns zu tun hätte, wäre es dann heute unser
Predigtwort?
Müssen wir uns
nicht zumindest fragen: Was ist damals schief gelaufen zwischen Gott
und seinem Volk? Worauf müssen wir achten, dass es bei uns nicht
auch schief läuft? Und: Wie soll ein Gottesdienst aussehen, der Gott
gefällt, so dass er eben nicht auch zu uns sagen muss: Tu weg von
mir das Geplärr deiner Lieder?
Ich denke, es ist
gut, wenn wir mal grundsätzlich überlegen, was Gottesdienst eigentlich
ist. Wenn man über das Wort Gottesdienst nachdenkt, kann man
ja schon darauf kommen, dass es zwei Seiten hat: Auf der einen Seite
ist es ein Dienst, den wir Gott erweisen; also: Wir dienen Gott. Auf
der anderen Seite ist es ein Dienst, den Gott uns erweist; also: Gott
dient uns.
Wir müssen aber
noch eine weitere Unterscheidung machen: Es gibt den Gottesdienst im
engeren Sinne, den Sonntagsgottesdienst, zu dem wir gerade versammelt
sind. Und es gibt den Gottesdienst im weiteren Sinne, den
Gottesdienst im Alltag der Welt, wie das so schön heißt.
Unser ganzes Leben und Tun soll auf Gott bezogen sein, soll
Gottesdienst sein: Arbeit und Freizeit, das Miteinander in Familie,
Nachbarschaft, Gesellschaft und Staat – das alles soll für uns
Gottesdienst sein.
Und nun neigen wir
dazu, diese beiden Unterscheidungen so miteinander zu verbinden, dass
im Sonntagsgottesdienst vor allem wir Gott dienen wollen, und im
Alltagsgottesdienst vor allem Gott uns dienen soll: Wir opfern Zeit
und Geld für Gott, wenn wir hierher zum Gottesdienst kommen. Wir
singen und beten, wir erheben unsere Herzen, und meinen, dass wir
Gott damit einen Gefallen tun. Und dafür, so denken wir weiter,
sollte Gott uns dann im Alltag dienen: uns vor Krankheit, Unfall und
Gefahren schützen, unserer Arbeit Erfolg verschaffen, uns in den
Problemen des täglichen Lebens Kraft geben. Also: Am Sonntag dienen
wir Gott, und im Alltag dient Gott uns.
Dabei ist es
eigentlich genau umgekehrt: Im Sonntagsgottesdienst will Gott uns
dienen, mit seinem Wort, mit seinem Sakrament, mit seinem Segen. Er
will uns wohl tun, und unsere Herzen zu sich ziehen. Er will uns
Kraft geben für den Alltag. Und dann, wenn der Alltag wieder kommt,
dann sind wir wieder damit dran, Gott zu dienen. Denn das ist unser
Gottesdienst im Alltag der Welt: dass wir Gott lieben, indem wir
seine Gebote achten, und dass wir unseren Nächsten lieben, indem wir
Recht und Gerechtigkeit üben, um es mit den Worten unseres
Predigttextes sagen.
Das Problem vor
2.750 Jahren war, dass die Menschen genau diese Verwechslung
gemacht haben: Sie wollten Gott dienen mit schönen Gottesdiensten
und eindrucksvollen Opfern an den Feiertagen. Dafür sollte Gott
seinen Segen zu ihren Alltagsgeschäften geben. Es war ein religiöser
Handel: Wir tun was für dich, Gott – am Feiertag. Du tust was für
uns, Gott – im Alltag. Damals meinte man, große Tieropfer und der
Wohlgeruch von verbrannten Opfergaben würden Gott beeindrucken, dazu
möglichst exquisite Kirchenmusik für Solo, Chor und Harfe. Und dann
müsste Gott doch so nett sein und über die Dinge hinwegsehen, die
im Alltag nicht so ganz nach seinen Geboten liefen.
Das war damals eine
ganze Menge. Der Prophet spricht zum Beispiel von Menschenhandel. Offenbar
gerieten einige in so tiefe Schulden, dass sie nichts mehr hatten als
ihren eigenen Leib, den sie in Zahlung gaben – Schuldsklaverei.
Mädchen mussten sich prostituieren, und erhielten doch kaum das
Lebensnotwendigste dafür. Auf der anderen Seite waren die, die die
Ausweglosigkeit der Armen und Schwachen ausnutzten, ja die mit
gefälschten Gewichten und minderwertigen Waren ihren Gewinn
vervielfachten, die ihren Wohlstand zur Schau stellten und
öffentliche Besäufnisse veranstalteten. Ihre Frauen bezeichnete der
Prophet ganz unverhohlen als fette Kühe. – Genau diese feine
Gesellschaft war es, die sich dann am Sabbat zum Gottesdienst traf
und meinte, sie könnte sich mit religiösen Leistungen bei Gott
freikaufen.
Aber Gott ist
unbestechlich. Er liefert Segen und Vergebung nicht als Gegenleistung
für frommes Verhalten am Sonntag. Im Gegenteil: Er erwartet, dass
das Verhalten im Alltag dem Gottesdienst am Sonntag entspricht. Wenn
du nicht bereit bist, dein Leben im Alltag als Gottesdienst zu
gestalten, dann kannst du dir den Sonntagsgottesdienst auch schenken.
Gottesdienst im
Alltag der Welt: Dafür stehen die Worte Recht und Gerechtigkeit.
Bei Recht denken
wir zurecht an Gesetze, die einzuhalten sind, und an eine
Rechtsprechung, die diesen Gesetzen Geltung verschafft. Recht tun
bedeutet also zunächst ganz schlicht und einfach: sich an die
Gesetze halten. Zum Beispiel an Steuergesetze. Es ist Unrecht, sich
selber auf Kosten anderer oder auf Kosten des Staates Vorteile zu
verschaffen, die einem nicht zustehen. Und es bleibt Unrecht, auch
wenn andere dasselbe tun.
Wenn in der Bibel
von Recht die Rede ist, dann ist dabei noch an mehr gedacht. Recht
ist, was Gott recht ist. Gottes Gebote sind so einfach, dass wir sie
uns an den zehn Fingern abzählen können. – Ich beobachte, dass
fast jeder zustimmt, wenn man sagt, dass die Zehn Gebote eine
wichtige Grundlage für ein anständiges und gottgefälliges Leben
sind. Ich beobachte aber auch, dass man dann doch schnell Abstufungen
vornimmt, was davon wichtiger ist und was nicht, was man davon halten
kann und was nicht. Und dann ist man schnell an dem Punkt, wo außer
„nicht töten“ und „nicht stehlen“ nicht mehr viel bleibt von
den Zehn Geboten. Nicht ehebrechen? – Es hat eben nicht mehr
so gestimmt, und die andere war irgendwie besser, schöner, jünger … Vater und Mutter ehren? - Naja, aber die machen uns doch das
Leben schwer. Nicht schlecht reden über andere? – Geht das
überhaupt? Worüber soll man denn dann überhaupt noch reden, wenn
man nicht lästern kann? Nicht begehren? – Aber hallo, das
geht doch gar nicht! Und die Gebote mit Gott: Keine anderen Götter
anbeten? – Ich kenne genug Leute, die den Götzen Gesundheit
anbeten. Wie wohltuend fand ich es, als kürzlich bei einer
Geburtstagsgratulation jemand nicht sagte: "Das ist das wichtigste", als ich Gesundheit wünschte, sondern als ich Gottes Segen
wünschte! Den Namen Gottes nicht missbrauchen – Ja, um Gottes
Willen, geht das denn? Und den Feiertag heiligen? – Mal
ehrlich: Ich verstehe es nicht ganz, wenn jemand, der als Rentner
sieben Tage in der Woche frei hat, ausgerechnet am Sonntagvormittag
wandern gehen muss.
Gottes Gebote,
Gottes Recht – sie gehen weit über das hinaus, was staatliche
Gesetze fordern können: Gottes Recht, das heißt Gott lieben und
seinen Nächsten wie sich selbst.
Und das ist
vielleicht auch die kürzeste und einfachste Beschreibung für das
andere große Wort, für Gerechtigkeit. Gerechtigkeit hat
immer etwas mit anderen zu tun. Ich bin nicht für mich selber
gerecht; Selbstgerechtigkeit ist keine Gerechtigkeit. Sondern ich bin
gerecht in meinem Verhalten andern gegenüber. Gerechtigkeit ist
immer sozial. – Darum ist der Ausdruck "soziale Gerechtigkeit" ein Pleonasmus, also so etwas wie ein "weißer Schimmel" oder "kaltes Eis". Wahrscheinlich wird der Ausdruck "soziale
Gerechtigkeit" aber deshalb so gerne gebraucht, weil man damit die
Verantwortung für die Gerechtigkeit von sich weg auf die
Gesellschaft delegieren kann.
Wenn die Bibel von
Gerechtigkeit spricht, dann meint sie das Verhalten einzelner
Menschen untereinander (oder auch gegenüber Gott). Gerechtigkeit
nimmt den anderen in den Blick. Er ist ein Mensch wie ich: Er hat
Interessen und Bedürfnisse wie ich. (Er hat Fehler und Schwächen wie ich.) Er hat Rechte und Freiheiten wie
ich. Und gerecht verhalte ich mich, wenn ich ihm, meinem
Nächsten gerecht werde – oder gerecht zu werden versuche.
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Vor allem heißt das
eins: Ich werde den anderen Menschen als Menschen behandeln, seine
Würde achten, wie immer das auch konkret aussehen mag. – Da mögen
dann wieder die Zehn Gebote eine gute Orientierung sein. Und so
reichen sich Recht und Gerechtigkeit die Hand.
Es ströme das Recht wie das Wasser
und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. –
Das ist die Beschreibung für den Gottesdienst im Alltag der Welt.
Und
von daher bekommt dann auch der Sonntagsgottesdienst seine
Bedeutung. Der ist vor allem die Art von Gottesdienst, in der Gott
uns dient. Da sind wir nämlich an der Quelle. Von hier aus strömen
Recht und Gerechtigkeit in unser Leben hinein. Hier sind wir nicht
zuerst Gebende, sondern Empfangende. Gott gibt uns sein Wort. Gott
lässt uns sein Recht wissen, sagt uns, was ihm recht ist. Und Gott
spricht uns seine Gerechtigkeit zu. Das heißt auch: Er vergibt uns.
Es ist nämlich
nicht so, dass wir erst zu Gott kommen dürften, wenn unser
alltäglicher Gottesdienst perfekt wäre. Nein, wir kommen zu ihm
durchaus mit dem Wissen unserer Unvollkommenheit, unserer
Ungerechtigkeit, unseres Unrechts. Wir kommen zu ihm mit dem Wissen,
dass wir ihm nichts bringen können, was uns freikauft und vor ihm
gerecht macht. Wir kommen, um von ihm freigemacht zu werden, ohne
Verdienst und Gegenleistung. Aber dann auch frei gemacht, um wirklich
seine Gerechtigkeit zu leben.
Das ist letztlich
der Sinn unseres Gottesdienstes: dass Gottes Gerechtigkeit von hier
aus in unser Leben strömt – und weiter hinein in die Welt, in der
wir leben und in der wir berufen sind, Gott zu dienen.
Sonntag, 12. Februar 2012
Predigt am 12. Februar 2012 (Sexagesimä)
Liebe Schwestern
und Brüder,
„Guck mal, wie
toll ich bin!“ – das war das Motto der Predigt letzte Woche. Und
wir haben festgestellt, dass das gar nicht so toll ist, wenn man sich
selber so toll findet. Wer sich rühmen will, der soll sich rühmen,
dass er Gott kennt; darauf lief es hinaus.
Und nun will es die
Predigttextordnung, dass es diese Woche wie in einer Fortsetzung noch
mal um dasselbe Thema geht. Und zwar an einem konkreten Beispiel: am
Beispiel des Apostels Paulus.
Paulus hat ein
Problem. Und sein Problem ist, dass er – genau entsprechend dem
Text von letzter Woche – sich nicht selber rühmen will, sich nicht
selber großtun will, sondern dass er immer nur Jesus Christus groß
machen will, ihn rühmen mit Wort und Tat.
Aber damit stößt
er nicht auf so viel Begeisterung und Anerkennung. Und vor allem
leidet seine Autorität als Apostel darunter.
Da gibt es nämlich
noch ganz andere, die hauen offenbar mächtig auf den Putz: wer sie
sind, was sie können, was sie schon Tolles mit Gott erlebt und
vollbracht haben. Und nebenbei halten sie noch die Hand auf; denn wer
so toll ist, der hat es auch verdient, dass er entsprechend bezahlt
wird. – „Superapostel“ nennt Paulus sie. Und wahrscheinlich
haben sie auch eine Super-Botschaft: Nicht nur sie selber sind etwas
ganz Besonderes, sondern auch ihre Anhänger können etwas ganz
Besonderes sein: nicht nur einfach Christen, sondern „Superchristen“,
die die totale Erleuchtung haben und völlig über den Dingen stehen.
– Mit solchen Leuten in der Gemeinde, die alles besser wissen,
besser können und überhaupt die Größten sind, da muss es ja
knirschen und krachen. – Davon bekommen wir ein bisschen was mit in
den Korintherbriefen des Paulus.
Heute erleben wir,
wie ihm die Hutschnur platzt. Er schreibt nach dem Motto: Wenn ihr
denkt, ihr könnt auf den Putz hauen; ich kann es auch.
Wir hören einen
Abschnitt aus dem 2. Brief an die Korinther im 11. Kapitel:
Da viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen. Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht? Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen.
2. Korinther 11, 18.23b-30
So, liebe Gemeinde, sieht es aus, wenn
Paulus auf den Putz haut: „Guckt mal, was ich alles durchgemacht
habe“, sagt er. Gefahren, Gefahren, Gefahren... Statt zu Hause
sitzen zu bleiben und Bibelstudien zu treiben, hat er zu Fuß oder zu
Schiff den östlichen Mittelmeerraum bereist, Strapazen ohne Ende auf
sich genommen und hat dabei noch von allen Seiten auf die Fresse
gekriegt, weil die Botschaft vom gekreuzigten Gottessohn den einen zu
dumm und den anderen zu anstößig war. Apostel Jesu zu sein, das war
damals schon etwas unbequemer als ein Tourismuspfarramt.
Warum macht er das, warum tut er sich
das an?, könnte man fragen. – Nun ja, eben nicht um Blumentöpfe
zu gewinnen und Bewunderung zu ernten. Denn natürlich kann man auch
für Strapazen, Entbehrungen, Gefahren und Erniedrigungen noch
Anerkennung oder zumindest Aufmerksamkeit bekommen – ich sage nur: Dschungelcamp. Aber das ist es ja nicht bei Paulus. Er will ja am
liebsten gar nicht drüber reden. – Er tut es sich an, weil er
ergriffen ist von Jesus Christus. Er kann gar nicht anders, als die
Sache Jesu weiterzutragen. Und niemand soll sagen, er tue das um
seines eigenen Vorteils und um seines eigenen Erfolges willen!
Als wir am Mittwoch beim Bibelgespräch
über diesen Text sprachen, hat jemand eine interessante Beobachtung
gemacht: Paulus lässt sich zwar darauf ein, sich selber zu rühmen.
Aber er spricht nicht von seinen Erfolgen. Er spricht nicht davon,
wie viele Gemeinden er gegründet hat, wie viele Menschen er zum
Glauben geführt hat, wie viele er getauft hat – da gibt es sogar
eine lustige Stelle im 1. Korintherbrief (1. Korinther 1, 14-16), wo Paulus sagt: Gott sei
Dank, habe ich niemanden bei euch getauft, und
dann fallen ihm nacheinander doch ein paar Namen ein von Leuten, die
er getauft hat, und dann sagt er: Sonst weiß ich nicht, ob
ich noch jemand getauft habe . –
Es ist ihm einfach nicht wichtig. Er möchte keine Zahlen und
Erfolgsbilanzen vorweisen. Weil es ihm eben nicht um seinen eigenen
Ruhm geht, sondern um den Ruhm des Herrn. Oder wie wir vorige Woche
gesungen haben: Nichts hab ich zu bringen, alles, Herr bist
du.
Ja, aber wo ist er
denn, der Herr? Was hast du denn mit ihm erlebt? So könnten ihn
seine Gegner fragen. Mit der Antwort darauf sind wir beim zweiten
Teil unseres heute sehr langen Predigttextes:
Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? ich weiß es auch nicht; Gott weiß es –, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es –, der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarung nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: "Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.
2. Korinther 12, 1-10
Wo ist er, der Herr? – das war die
Frage. Und die Antwort ist unsere Jahreslosung, die genau in diesem
Abschnitt steht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. –
Lass dir an meiner Gnade genügen.
Dabei könnte
Paulus doch eine ganz andere Antwort geben. Er könnte von seiner
Himmelsreise erzählen. Ja, was war das? Eine Vision? Eine
Entrückung? Eine Art Nahtoderfahrung? Und was hat er da gesehen und
gehört? – Dafür gibt es gar keine angemessenen Worte.
Überunaussprechlich haben die alten Kirchenväter die
Gottesschau genannt. „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss
man schweigen“, hat der Philosoph Wittgenstein gesagt. Und Paulus
in philosophischer Weisheit schweigt ebenfalls über das
Unaussprechliche. – Anders übrigens als der Seher Johannes, dessen
befremdliche Vision wir vor 14 Tagen besprochen haben.
Was immer Paulus
von Gottes Wirklichkeit gesehen und gehört hat, es hat sich gewiss
ausgewirkt auf sein Reden und Schreiben, auf sein Glauben und Leben.
Aber er bringt es nicht selber zur Sprache. Er spricht, wenn er von
sich selber spricht, lieber von seiner Schwachheit, von seiner
Krankheit, von seiner Anfechtung – und von Gottes Gnade.
Bloß nicht
überheblich werden, bloß nicht sich was einbilden auf die
übernatürliche Offenbarungserfahrung! – Das ist für ihn der Sinn
dessen, was ihm da als Pfahl im Fleische sitzt. Ich habe es schon im
Neujahrsgottesdienst gesagt: Wir wissen es nicht, was für eine
Belastung, wahrscheinlich Krankheit er mit sich herumschleppt. –
Und vielleicht ist das gerade gut für uns, weil wir uns so mit
unseren eigenen Einschränkungen, Krankheiten und Anfechtungen darin
wiederfinden können. Sie bekommen ihren
Sinn durch das Wort Jesu: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn
meine Kraft ist in den schwachen mächtig!
Das ist die Antwort
für Paulus – vielleicht auch für uns: Da ist der Herr: Wo wir
schwach sind. Wo unsere Möglichkeiten am Ende sind. Wo wir nichts
eigenes mehr vorzuweisen haben.
Das ist es, was ich
euch heute wieder als Gottes Wort und Zuspruch mitgeben möchte:
Gottes Gnade genügt.
Gottes Gnade
genügt, wo Ruhm und Anerkennung ausbleiben. – Paulus erfährt
heftigen Widerspruch und scheinbares und tatsächliches Scheitern. –
Scheitern ist ja ein wunderbar gleichnishaftes Wort. Dreimal
habe ich Schiffbruch erlitten. – Wie oft hast du Schiffbruch
erlitten in deinem Leben? – Aber du hast überlebt, vielleicht erst
nachdem du einen Tag und eine Nacht auf dem offenen Meer getrieben
bist. Und doch bist du errettet worden. – Lass dir an meiner
Gnade genügen!
Gottes Gnade
genügt, wo das Wunder ausbleibt. – Darum hatte Paulus ja
gebetet, um das Wunder: Dass der Satansengel von ihm weichen soll,
dass ihm der Pfahl im Fleisch entfernt wird. – Wir wissen es: Es
gibt das Wunder. Es gibt die Heilung, die unerwartete Wendung, die
Befreiung von Lebenslasten. Und wo es das gibt, staunen und danken
wir. – Aber wir wissen auch: Es gibt das Ausbleiben des Wunders,
das Fortschreiten der Krankheit, das Eintreten der Katastrophe, das
Gefühl, dass uns mehr aufgelegt wird, als wir tragen können. Und es
gibt das Gebet, das nicht erhört wird. Zumindest nicht so, wie wir
es gewünscht haben. – Ich wünsche dir, dass du auch diese Antwort
annehmen kannst: Lass dir an meiner Gnade genügen!
Gottes Gnade
genügt, wo der Satan dich anficht. – Paulus spricht ja von
einem Engel des Satans, der ihn mit Fäusten schlägt. Vielleicht
tust du dich schwer mit solchen Bildern. Vielleicht befremdet es
dich, dass Gott offenbar dem Teufel einen Spielraum lässt, sich an
dir auszuprobieren. Vielleicht denkst du an die Geschichte Hiobs, wo
der Teufel seine Anfechtungen auf die Spitze treiben darf. – Aber
vergiss dabei nicht: Gott ist Herr des Geschehens. Und Jesus ist
Herr deines Lebens. Und keine Macht der Finsternis kann dich aus
seiner Hand reißen. Lass dir an meine Gnade genügen! Denn meine
Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Da ist der Herr,
dessen wir uns rühmen sollen, da wo wir schwach sind. Wo wir selbst
das, was wir mit Recht vorweisen könnten, noch vergessen und hinter
uns lassen, wo wir nur noch ganz auf ihn angewiesen sind. Da ist er,
da ist er bei uns. Da nimmt er unsere Hände und führt uns bis an
unser selig Ende und ewiglich. Selbst da, wo wir nichts spüren von
seiner Macht, führt er uns durch Nacht und Dunkel zum Ziel. – Das
singen wir jetzt mit dem Lied Nr. 376: So nimm denn meine Hände.
Sonntag, 5. Februar 2012
Predigt am 5. Februar 2012 (Septuagesimä)
So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.
Jeremia 9, 22-23
Liebe Schwestern und Brüder,
„Guck mal, was ich gemalt habe“, so
kommt die kleine Anna angelaufen, und möchte, dass die Oma oder der
Onkel das Bild anschaut und sie lobt. „Guck mal, was ich gebaut
habe“, sagt der kleine Paul und führt dem Papa sein Lego-Fahrzeug
vor. – „Toll!“, sagen wir und freuen uns, wie unsere Kinder
lernen, mit eigener Fantasie und eigenen Fähigkeiten etwas eigenes
zu erschaffen. Sie sind stolz auf sich, und wir sind stolz auf sie.
Wir wissen: Das selbst gemalte Bild oder das selbst gebaute Auto sind
erst ein Anfang. Sie werden noch mehr Gaben und Fähigkeiten
entwickeln und daraus etwas machen im Leben.
So wie wir. Wir kommen nur nicht mehr
ganz so offensichtlich und offensiv daher mit unserem „Guck mal,
was ich geschafft habe!“ Aber eigentlich sind wir schon stolz auf
unsere Leistungen, und wir möchten, dass das auch gesehen und
gewürdigt wird, was wir geschaffen und geschafft haben. Das müssen
gar nicht die großen Statussymbole sein – Haus, Auto und in
unserem Fall: Leben im sonnigen Süden. Es sind ja immer noch die
kleinen Dinge, wo wir es uns und anderen gern beweisen, wie toll wir
sind. Es freut uns doch, wenn der selbst gebackene Kuchen beim
Gemeindefest gelobt wird. Wenn wir beim Preisskat gut abschneiden.
Wenn wir eine gute Idee haben, sie umsetzen und dafür gelobt
werden...
Ich könnte auch konkret von mir
sprechen: Ich freue mich, wenn mir gesagt wird, dass die Predigt gut
war. Oder wie toll es ist, dass ich im Ernstfall auch noch Klavier
oder Orgel spielen kann.
Es ist normal, es ist menschlich: Wir
wollen etwas leisten, wir wollen uns etwas leisten, wir wollen gut
sein und es nach außen zeigen, und wir wollen dafür Lob und
Anerkennung haben.
Das ist für mich – heruntergebrochen
auf unsere normales Leben – das, was die Bibel mit Sich-Rühmen
meint: Stolz auf sich sein und
Anerkennung heischen. Das ganz normale „Guck mal, was ich bin! Guck
mal, was ich kann!“
Und
nun – wir haben es gehört, wir haben es geahnt: Es ist schlecht.
Es ist verkehrt. Wir sollen uns nicht rühmen. Wir sollen nicht stolz
sein. Wir sollen uns nichts einbilden auf das, was wir haben, und
das, was wir draufhaben: Ein Weiser rühme sich nicht
seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein
Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Mir fällt ein Lied
unseres erzgebirgischen Heimatdichters Anton Günther ein: „Bild dr
nischt ei, bist ner a Mensch, kaast wetter nischt sei.“
Man kann es ja auch
von der anderen Seite her sehen: Leute, die ihre vermeintlichen oder
tatsächlichen Leistungen und Errungenschaften allzu stolz und
offensichtlich präsentieren, sind uns unangenehm: „Mein Haus! Mein
Auto! Meine Yacht! Meine Pferde!“ – Ein Klassiker unter den
Werbespots, weil er so schön mit dem eigentlich tabuisierten und
andererseits doch so beliebten Prahlen und Protzen spielt. Wir wollen
ja alle was vorzuweisen haben. Und doch ist es peinlich, wenn es zu
offensichtlich und offensiv passiert.
Vor allem, ist es
uns unangenehm, wenn ein anderer wirklich mehr vorzuweisen hat, als
wir selber. Dann setzen die Neidreflexe ein: „Boah! Der ist
eingebildet! Der hat doch nur Schwein gehabt! Oder ist Schwein
gewesen...“
Wir merken: Es ist
eine zweischneidige Sache mit dem Sich-Rühmen. Einerseits brauchen
wir es, dass wir etwas vorweisen können. Wir brauchen es, um
Anerkennung zu kriegen. Wir brauchen es für unser Selbstbewusstsein.
Andererseits steht, wer sich rühmt, schnell bei den Angebern,
Großmäulern und Egomanen.
Aber schauen wir
genau hin. Die Bibel hat ja nicht prinzipiell was gegen das
Sich-Rühmen. Gerühmt muss werden, sagt auch der Apostel
Paulus im Neuen Testament (2. Korinther 12, 1). Es kommt nur darauf an, wessen sich
jemand rühmt. Weisheit, Stärke und Reichtum sollten es jedenfalls
nicht sein.
Denn: Ein Weiser,
der sich seiner Weisheit rühmt, ist gerade nicht weise. Wahre
Weisheit präsentiert sich nicht selber, sondern wird von anderen
entdeckt und erkannt.
Ein Starker, der
sich seiner Stärke rühmt, zeigt damit nicht unbedingt Stärke. Es
ist doch meistens besser, unterschätzt zu werden und dann
überraschend seine wahre Stärke auszuspielen, als umgekehrt erst
den starken Max herauszukehren und dann, wenn's drauf ankommt, doch
zu unterliegen.
Und ein Reicher,
der sich seines Reichtums rühmt, ist wahrscheinlich in geistiger
Hinsicht ziemlich arm. Denn Reichtum ist manchmal zwar durchaus
eigener Verdienst, aber kein Wert an sich. Entscheidend ist, ob man
es auch versteht, mit seinem Reichtum sich und andere glücklich zu
machen.
Also: Wer sich
rühmen will, der darf das durchaus tun. Es kommt nur darauf an,
wessen er sich rühmt. Und da fallen in der zweiten Hälfte
unseres kleinen Bibelabschnitts doch schöne Worte: Barmherzigkeit,
Recht und Gerechtigkeit.
Wie wäre das, wenn
wir uns dessen rühmen könnten, dass wir barmherzig sind,
rechtschaffen und gerecht? – Ich glaube, das ist heute eine sehr
beliebte Variante des „Guck mal, wie toll ich bin!“ Ich spende
für arme Kinder in der Dritten Welt oder engagiere mich für den
Tierschutz. Wenn ich eine Fernreise mache, zahle ich etwas dazu,
damit meine CO2-Emission durch neu angepflanzten Regenwald
ausgeglichen wird. Ich esse „bio“, weil das angeblich gesünder
und ökologischer ist. Ich bin gegen Castortransporte – obwohl das
Zeug nun mal da ist und gar nicht besser und sicherer transportiert
und gelagert werden kann. Ich respektiere andere Kulturen – auch
wenn die Angehörigen dieser Kulturen vor unserer Haustür ihre
Frauen unter Kopftüchern verstecken und ihre Kinder
zwangsverheiraten und etwas weiter weg christliche Kirchen anzünden.
Ich klatsche Beifall, wenn jemand vorschlägt, mit den Taliban zu
beten; und ich protestiere, wenn Bundeswehrangehörige in Afghanistan
für Freiheit und Sicherheit vor den Taliban ihr Leben riskieren. –
Ich könnte fortsetzen. Ihr merkt, ich rede von denen, die man gerne
als Gutmenschen bezeichnet, nicht weil sie besonders gut sind,
sondern weil sie sich besonders gut vorkommen. Weil sie sich
für die wahrhaft Barmherzigen, Rechtschaffenen und Gerechten halten
und dabei übersehen, dass die Dinge meistens ein klein wenig
komplizierter sind, als sie meinen.
Auch wer sich
seiner Barmherzigkeit, Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit rühmt,
rühmt sich verkehrt. Auch ihm geht es nur um das „Guck mal, wie
toll ich bin!“ Und wenn dann jemand kommt und sagt: „Ist gar
nicht so toll, was du da machst!“ – wenn er zum Beispiel sagt,
dass „bio“ nachweislich nicht gesünder ist – denn
biologische Gifte – Keime, Bakterien, Viren, Pilze – sind viel
häufiger und in höherem Maße krankmachend als chemische
Pflanzenschutzmittel – man denke nur an die hochinfektiösen
Bio-Sprossen im letzten Jahr –; wenn jemand so was sagt, dann wird
er von denen, die so gerne die Guten sein wollen, ganz schnell in die
böse Ecke gestellt. Denn das kratzt am Selbstbewusstsein, wenn man
gesagt kriegt, dass man gar nicht so toll ist, wie man gerne sein
möchte.
Nein,
Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit sind auch nicht die Dinge,
deren wir uns rühmen sollen. Im guten Sinne sind das ja nichts als
Selbstverständlichkeiten.
Aber es steht ja
auch was anderes da, in unserem Bibelwort: Wer sich rühmen will,
der rühme sich, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR
bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden.
Statt „Guck mal,
wie toll ich bin!“ sollten wir also lieber sagen: „Guck mal, wen
ich Tolles kenne!“ Nämlich Gott!
Das ist ja auch gar
nicht so abwegig: Sich rühmen, stolz darauf sein, dass man jemanden
kennt. Man sonnt sich in dessen Ruhm. Meine Frau war zum Beispiel
stolz darauf, dass sie mit ihrem Schulchor mal beim Bundespräsidenten
eingeladen war – das war noch ein anderer, als der jetzt... Jemand
anderes ist stolz darauf, mal irgendeinem Star die Hand gedrückt zu
haben oder mit einem heutigen Politiker in die Schule gegangen zu
sein. Und manchmal können Beziehungen in höhere Kreise doch auch
sehr hilfreich und angenehm sein.
Nun geht es in der
Bibel aber nicht um irgendwelche Bekanntschaften oder Beziehungen,
sondern es geht um die allerhöchste Bekanntschaft, die wir haben
können, um die allerbeste Beziehung, die es nur geben kann. Es geht
nicht um die Bundeskanzlerin oder den US-Präsidenten oder den Papst.
Es geht um Gott. Es geht um unsere Beziehung zu Gott. Ihn kennen,
Gott kennen, den Schöpfer der Welt – das isses! Darauf können wir
wirklich stolz sein. Dessen sollen wir uns rühmen! Das ist doch
wirklich toll!
Wir, die wir so
stolz sind auf unsere kleinen irdischen Erfolge und Errungenschaften,
wir könnten und sollten viel mehr stolz sein, dass wir den ewigen
Gott kennen. Wir, die wir uns auf unsere moralischen Qualitäten
etwas einbilden, sollten viel mehr Gottes Qualitäten entdecken und
rühmen. Er ist es nämlich, der Barmherzigkeit, Recht und
Gerechtigkeit übt auf Erden. – Ich weiß, hier mögen sich
Fragen und Zweifel melden; über die müssen wir ein anderes Mal
reden. – Für heute möchte ich das festhalten: Gott ist der Höchste
und Beste, der Ewige und Vollkommene. Vor ihm verblasst alles andere.
Er allein ist rühmenswert. Und wenn wir schon meinen, wir müssten
uns selber rühmen, dann doch nur so, dass wir uns Gottes rühmen.
Denn es ist doch
so: Was immer ich bin, was immer ich kann, was immer ich vollbringe,
ich bin es von Gott her, ich kann es von Gott her, ich schaffe es von
Gott her. Er hat mich geschaffen und begabt. Und er gibt sich mir zu
erkennen. Ich kann und darf es wissen: Alles kommt mir von ihm her
zu. Und darum, wenn ich mich rühme, dann rühme ich mich Gottes.
Wenn ich stolz bin, dann darauf, dass Gott mich kennt und beschenkt –
und vor allem: mir die Anerkennung gibt, die ich mir so sehr wünsche.
Stolz darauf sein,
Gott zu kennen – so sollte es doch sein, oder? – Komisch, dass
wir uns so gerne unserer eigenen Qualitäten rühmen, dass wir so
gerne zeigen, was wir selber sind und haben, können und leisten,
aber gleichzeitig so leise und bescheiden werden, wenn es um unseren
Glauben geht, um unser Christsein! Andere wissen so viel von dir: Wo
du wohnst, mit wem du zusammenlebst, was du für ein Auto fährst, wo
du arbeitest oder gearbeitet hast, was deine Hobbys sind und wie du
politisch denkst. Wissen sie auch, dass du Christ bist, dass du an
Gott glaubst und ihn persönlich kennst? – Wenn nicht, dann lass es
sie wissen: „Guck mal, wen ich Tolles kenne!“ Darauf kannst du
doch wirklich stolz sein!
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