Samstag, 2. April 2011

Predigt vom 20. März 2011 (Reminiszere)

Wenn ich zu Christi Zeiten gelebt hätte: so würden mich die in seiner Person erfüllten Weissagungen allerdings auf ihn sehr aufmerksam gemacht haben. Hätte ich nun gar gesehen, ihn Wunder tun; hätte ich keine Ursache zu zweifeln gehabt, daß es wahre Wunder gewesen: so würde ich zu einem, von so langeher ausgezeichneten, wundertätigen Mann, allerdings so viel Vertrauen gewonnen haben, daß ich willig meinen Verstand dem Seinigen unterworfen hätte; daß ich ihm in allen Dingen geglaubt hätte, in welchen eben so ungezweifelte Erfahrungen ihm nicht entgegen gewesen wären.
G.E. Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft, Werke Bd. VIII

Liebe Schwestern und Brüder,

das sind die Worte eines sehr klugen Menschen, der sich zu seiner Zeit mit dem christlichen Glauben herumgeschlagen hat. Es handelt sich um Gotthold Ephraim Lessing, bis heute bekannt als Dichter und Denker der Aufklärung – vor allem durch seinen "Nathan". Ja, wenn ich damals dabei gewesen wäre, ja, wenn ich seine Worte selber gehört, seine Wunder selber gesehen hätte, dann wäre es mir ein Leichtes gewesen, ihm zu glauben. Nun aber lebe ich viele Jahrhunderte später, und ich habe nur Geschichten, Überlieferungen, Erzählungen. Sie haben ihren Geist und ihre Kraft verloren. Wie kann der christliche Glaube in mir heute noch Kraft haben? Ich brauche einen Beweis des Geistes und der Kraft, so Lessing in Anspielung auf Worte des Apostels Paulus.

Mein Eindruck ist: Vielen von uns, 250 Jahre nach Lessing, geht es nicht besser. Der christliche Glaube ist ihnen kraftlos, geistlos geworden. Nette Geschichten, nette Worte, nette Leute. Manchmal auch nicht so nett – ich meine die biblischen Worte und Geschichten, die beim genaueren Hinsehen oft gar nicht so bequem in unsere Zeit, in unser Leben passen. – Ja, wenn wir damals dabei gewesen wären, als Jesus über diese Erde ging, dann wäre uns der Glaube leichter gefallen!

In unserem heutigen Predigttext begegnen wir Leuten, die dabei gewesen sind, als Jesus auf der Erde lebte. Und was lesen wir da? – Auch ihnen fällt es schwer zu glauben. Auch sie möchten einen echten Beweis haben, dass das mit Jesus auch stimmt, dass er wirklich von Gott kommt und ihnen etwas zu sagen hat.

Hört Worte aus dem Matthäusevangelium im 12. Kapitel

Einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern sprachen zu Jesus: "Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen." Und er antwortete und sprach zu ihnen: "Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein.
Die Leute von Ninive werden auftreten beim jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin vom Süden wird auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, um Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.

Matthäus 12, 38-42

Ja, liebe Schwestern und Brüder, da stehen sie vor Jesus, die Schriftgelehrten und Pharisäer, also die religiösen Spezialisten, die Theologen, die Klugen und Gebildeten, zusammen mit den Frommen, die immer alles ganz genau wissen wollen und immer alles ganz richtig machen wollen, da stehen sie vor Jesus und fragen nach einem Zeichen, nach einem wirklich überzeugenden Beweis.

Sie haben es gesehen und gehört, wie Jesus Blinde und Lahme geheilt, Aussätzige rein gemacht und Taubstummen die Ohren geöffnet hat. Sie haben miterlebt, wie böse Geister vertrieben wurden. Und sie haben gehört, wie Jesus Gottes Gebote ausgelegt hat. Und doch konnten sie es nicht glauben. Die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen und die Wunder, die Jesus tat, waren ihnen noch lange keine ausreichende Beglaubigung. – "Gib uns doch endlich ein deutliches Zeichen", so bedrängen sie Jesus.

Ja, wie deutlich kann und muss denn so ein Zeichen sein, damit es wirklich und wahrhaftig und endgültig überzeugt?

Wenn wir Menschen nicht glauben wollen, dann kann uns auch kaum jemand überzeugen. Ich kenne diese Diskussionen mit Leuten, die nicht glauben wollen: Für die biblischen Geschichten gibt es leider keine überzeugenden Beweise (siehe schon Lessing). Die Wunder der Schöpfung erklären wir naturwissenschaftlich. Und das, was Menschen auch heute als Wunder erleben, wie sie von Gott geführt werden, zum Beispiel, das gilt ihnen als bloßer Zufall. Der Glaube sieht eben, was er sehen will, auch wo nichts ist – so die Kritiker. Selbst Heilungen von schwerer Krankheit – wir haben eine gute Bekannte, die zu unserer Gemeinde gehörte und zur Gnadenthaler Jesusbruderschaft, die wurde durch Gebet von Speiseröhrenkrebs geheilt – selbst solche wunderbaren Heilungen gelten dann eben als zufällige Spontanheilungen; bestenfalls hat da die positive Einstellung des Kranken eine Rolle gespielt.

Kaum etwas fällt schwerer, als seine vorgefasste Meinung zu ändern. Wer jahrzehntelang nicht geglaubt hat, warum sollte der es auf einmal tun? Erst recht, wenn er mit seinem Unglauben bisher gut gefahren ist?

Das ist die Crux, die wir im Osten Deutschlands erleben: Eine tiefgreifende Entfremdung vom Glauben, vom Christentum über mehrere Generationen hinweg. Was muss dann geschehen, um jemanden vom Glauben zu überzeugen, der bisher nicht glauben konnte, wollte, brauchte?

Und die Crux, die wir auch im Westen erleben: Eine fortschreitende Entfremdung vom Glauben. Die Gewissheit greift Raum: Es geht auch ohne Glauben, ohne Kirche, ohne Jesus, ohne Gott. – Klar, geht es auch ohne Gott. Es ist nur die Frage: wohin?

Damals sind es Schriftgelehrte und Pharisäer, die nicht glauben können oder wollen. Dabei müssten sie die Glaubensspezialisten sein. Diese Typen gibt es auch heute zur Genüge: Schriftgelehrte – die intellektuelle Elite, die alles genau wissen, die ihr fertiges Weltbild und zu allem eine Meinung haben und sich dabei klüger dünken als der Rest. Pharisäer – die, die alles richtig machen, die moralisch Überlegenen, die sich besser dünken als der Rest.

Kaum etwas fällt schwerer, als seine vorgefasste Meinung zu ändern. Wolf Biermann hat vor vielen Jahren ein schönes Lied geschrieben: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.

Denn da beginnt Glaube, wo wir bereit sind, uns zu ändern. Unsere Sicht, unser Verhalten, unsere Verhältnisse.

Jesus verweigert das Zeichen, das wir uns wünschen. Entweder wir sehen die Zeichen, die er uns gibt, oder wir sehen sie nicht. Wir haben keinen Anspruch auf mehr.

Sein Zeichen ist das Zeichen des Jona. Jona war der Prophet, der versucht hatte vor Gott wegzulaufen, der dann vom großen Fisch verschlungen wurde und dann doch wieder lebend an Land gespuckt wurde, damit er seinen Auftrag ausführen konnte.

Jesus wurde vom Tod verschlungen: gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes. Und dann wurde er doch wieder ins Leben gespuckt, aus dem Grab befreit: am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel.

Auch das Zeichen seines Todes und seiner Auferstehung haben sie nicht verstanden, die Schriftgelehrten und Pharisäer. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Wenn er Gottes Sohn war, dann konnte er nicht sterben, und wenn er ein Mensch war, konnte er nicht vom Tode auferstehen. Dass Jesus der Menschensohn war, der gekreuzigte Gott und der neue Mensch, das war für sie nicht zu fassen.

Ist ihnen das vorzuwerfen? Selbst der Jünger einer, Thomas, mochte es nicht glauben: Wenn ich es nicht selber sehe, wenn ich nicht selber seine Wunden ertaste, kann ich’s nicht glauben.Selig sind, die nicht sehen und doch glauben, hat Jesus ihm gesagt. (Johannes 20, 24-29)

Jesu Tod und Auferstehung sind die Zeichen des Glaubens. Für uns verdichtet im Zeichen des Kreuzes.

Das Kreuz ist eigentlich ein Antizeichen: Es steht für Schande, Schmerz und Tod. – In Schande, Schmerz und Tod Gott zu finden, scheint aussichtslos zu sein. Aber dort ist er. Nicht bei den Überlegenen, sondern bei den Unterlegenen, nicht bei den Siegern, sondern bei den Verlierern, nicht bei den Geretteten, sondern bei den Verlorenen.

Das Kreuz ist ein Antizeichen: Es steht als Zeichen des Todes für das ewige Leben. – Denn im Tod hat Gott den Tod besiegt. Der Gekreuzigte ist der Auferstandene. Darum werden auch die Unterlegenen von ihm erhöht, die Verlierer bekommen den Sieg zugesprochen, die Verlorenen werden gerettet.

Ist das ein starkes, überzeugendes Zeichen? Ist das der Beweis des Geistes und der Kraft? – Nein, für den Schriftgelehrten und den Pharisäer nicht. Für den, Besserwisser und Bessermacher nicht, für den, der Gott vorschreiben möchte, wie er sich zu beweisen hat.

Aber für den, der sich auf Jesus einlässt. Für den, der es wagt zu glauben.

Es ist eine Frage der Reihenfolge. Wenn ich erst auf den überzeugenden Beweis warte, um zu glauben zu können, dann komme ich nie zum Glauben. Aber wenn ich den Sprung in den Glauben wage, dann werde ich merken, wie Gottes Kraft sich an mir erweist. Ich springe und falle und seine Hand fängt mich auf.

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